Psychological Ownership: Werden physische
Güter höher wertgeschätzt als digitale Güter?
Bereits im Oktober hatten wir die Möglichkeit mit Julius Klengel zu sprechen, der jüngst seine Master Thesis zum Thema »Der Einfluss von Generationseffekten auf den subjektiv empfundenen Wert physischer und digitaler Güter« an der Hochschule Fresenius in Hamburg verfasst hat.
UNSERE WERTSCHÄTZUNG FÜR EIN GUT STEIGT, SOBALD WIR BESITZGEFÜHLE DAFÜR EMPFINDEN.
Wir sind dabei der Frage nachgegangen, ob gedruckte Seminarunterlagen gegenüber digitalen Unterlagen eine höhere Wertschätzung erfahren und wie etwaige Nachteile von digitalen Unterlagen kompensiert werden können.
Daniel Stöckel (DS): Julius, vielen Dank, dass Du uns für ein Gespräch zur Verfügung stehst. Wie wir im Vorgespräch bereits erfahren haben, ist das Forschungsgebiet Wertschätzung in Bezug auf digitale und physische Güter recht jung. Führe uns doch bitte in das Thema ein.
Julius Klengel (JK): Sehr gerne. Die Wertschätzung für ein Gut setzt sich aus mehreren Faktoren (in der Psychologie sprechen wir auch von Dimensionen) zusammen. Zu nennen ist hierbei zum Beispiel der monetäre Wert eines Gutes, seine Einzigartigkeit und sein Nutzen. Meine Arbeit hat sich speziell auf die Dimension der »Empfundenen
Besitzgefühle« (Psychological Ownership) fokussiert.
DS: Was hat Dich an dieser Dimension fasziniert?
JK: Das Phänomen Psychological Ownership ist so interessant, weil unsere Wertschätzung für ein Gut steigt, sobald wir Besitzgefühle dafür empfinden. Das reine Wissen darum, dass etwa das Smartphone mir gehört reicht bereits aus, um dessen Wert in meiner subjektiven Wahrnehmung zu steigern.
DS: Womit hängt das zusammen?
JK: Auch hier müssen wir wieder verschiedene Dimensionen betrachten, in diesem Fall drei.
Punkt 1: Die Besitzgefühle sind umso höher, je höher die wahrgenommene Kontrolle über ein Gut ist. Über ein physisches, gedrucktes Buch habe ich eine höhere wahrgenommene Kontrolle, als über ein eBook. Das liegt daran, dass ich das gedruckte Buch in die Hand nehmen und somit im wahrsten Sinne begreifen kann. Im Gegensatz
dazu kann ich das eBook nur indirekt überdigitale Technologien kontrollieren und meine
werden durch die Möglichkeiten der Software eingeschränkt. Punkt 2 ist der sogenannte Possession-Self Link. Je engermeine Identität mit dem Gut verknüpft ist, desto wichtiger ist mir der Gegenstand. Dieses Phänomen können wir zum Beispiel bei getunten Autos
beobachten. Aber auch diverse Sammelleidenschaften setzen an diesem Punkt an. Punkt 3 ist schließlich das Heimatgefühl, das uns ein Gut vermittelt. Wenn uns ein Gegenstand dieses Gefühl vermittelt, steigt es in seiner Bedeutung für uns.
DS: Nun waren wir ja bis vor kurzem über Jahrtausende in einer rein physisch geprägten Welt unterwegs. Besitz war etwas, das wir anfassen konnten. In der Welt der digitalen Güter ist das nicht mehr der Fall. Werden digitale Güter deshalb weniger wertgeschätzt?
JK: Ohne zu sehr vorgreifen zu wollen: Meine Erkenntnisse und die Erkenntnisse aus anderen Studien deuten darauf hin, ja. In einer Feldstudie habe ich mich am Hamburger Jungfernstieg als Fotograf ausgegeben. Ich habe Erinnerungsfotos von den Menschen geschossen und ihnen diese dann entweder physisch ausgedruckt überreicht oder digital per Mail an sie geschickt. Anschließend habe ich die Wertschätzung gemessen, indem ich die Zahlungsbereitschaft für die Fotos abgefragt habe. Das erstaunliche Ergebnis: Für das physische Foto war die Zahlungsbereitschaft im Schnitt höher, als für das digitale Foto …
Das theoretische Modell zu unserem Gespräch lieferte die Studie „Digital Goods Are Valued Less Than Physical Goods“ von Ozgun Atasoy und Carey K. Morewedge aus dem Jahr 2017, published by Oxford University Press on behalf of Journal of Consumer Research, Inc.
DS: …. was ja im Grunde total irrational ist, weil wir ein digitales Foto beliebig vervielfältigen und weiterverteilen können und es im Gegensatz zu einem Ausdruck auch nicht altert.
JK: Richtig. Trotzdem wird der Wert nicht so hoch geschätzt. Das Besitzgefühl für ein ausgedrucktes Foto ist höher, als das Besitzgefühl für ein digitales Foto.
DS: Erstaunlich. Lassen sich dazu auch altersbezogene Aussagen treffen? Haben jüngere Personen das digitale Gut im Wert höher gewichtet?
DIE PHYSISCH ZUGESANDTEN UNTERLAGEN WERDEN BEDEUTSAMER WAHRGENOMMEN UND HÄUFIGER ANGESCHAUT.
JK: Ob dieser Effekt mit der Generationszugehörigkeit zusammenhängt war der zweite große Bereich meiner Masterarbeit. Meine Vermutungwar, dass jüngere Menschen digitale Güter wertvoller einschätzen, als ältere Menschen.Eine Schwierigkeit der ist, dass man sehr große Stichproben benötigt, um Eigenheiten von Generationen wissenschaftlich belegen zu können. In meiner Arbeit konnte ich keinen Umbruch finden, ab der eine Altersklasse den Wert des digitalen Fotos höher eingeschätzt hat als eine andere. Allerdings war meine Gesamtstichprobe auch zu klein, als dass eine
statistisch belastbare und endgültige Aussage zur Generationenfrage möglich wäre.
DS: Wir haben Kunden, für die wir den Schulungsteilnehmern trotz Webinarveran- staltungen die Unterlagen nach Hause schicken, inklusive Kugelschreiber und Gummibärchen. Wie siehst Du das aus psychologischer Sicht. Hat das für die Teilnehmer einen anderen Wert, möglicherweise auch eine andere Wertschätzung?
JK: Die Forschung deutet darauf hin, dass Unterlagen, die physisch zugesandt werden, als bedeutsamer wahrgenommen werden und tendenziell auch im Nachgang häufiger angeschaut werden. Es gilt der Grundsatz: »Aus den Augen aus dem Sinn«! Physische Unterlagen bleiben auf dem Schreibtisch oder sind im Regal im Blickfeld, dadurch wird das Besitzgefühl für die Unterlagen gesteigert. Digitale Unterlagen hingegen werden in einen Ordner verschoben undverschwinden dadurch im digitalen Äther. Rein auf psychologischer Ebene und nach aktuellem Forschungsstand lässt sich sagen: Physische Unterlagen sind besser.
DS: Kann man auch sagen, dass ein Bedeutungsübertrag vom physischen Produkt auf die Marke stattfindet, die dahinter steht? Oder anders formuliert: Wächst mit dem physischen Produkt auch die Bedeutung der Marke?
Von Frankfurt nach Hamburg führte die Leitung während des Gesprächs zwischen Julius Klengel (rechts im Bild) und Daniel Stöckel.
JK: Die Wahrscheinlichkeit für einen Possession-Self Link, also eine Identitätsver- knüpfung, wird durch ein physisches Gut stark gesteigert. Allerdings hängt das auch sehr von der Marke, dem Produkt und der Nutzungshäufigkeit ab. Ein Tischler wird vermutlich seinen Hammer eher als Teil seiner Identität ansehen als ein Gelegenheits-Hobby-Handwerker.
DS: Wir sprechen aktuell mit vielen Kunden auch darüber, Unterlagen für Seminar- veranstaltungen auf Tablets auszugeben. Die Teilnehmer können sich direkt in der Unterlage Notizen machen und diese nach der Veranstaltung an ihre E-Mailadresse
schicken beziehungsweise ein gedrucktes, personalisiertes Exemplar im Nachgang an die Veranstaltung nach Hause zugesandt bekommen. Wie schätzt Du dieses Vorgehen mit Blick auf das Thema Wertschätzung ein?
JK: Das ist ein spannender Ansatzpunkt, denn durch die Personalisierung kann der Verlust an Kontrolle, der bei digitalen Gütern stattfindet, kompensiert werden. Die Wertschätzung kann sogar noch weiter gesteigert werden, wenn die Teilnehmer ihre individualisierten Unterlagen in gedruckter Form zugesandt erhalten. Interessant
sind an dieser Stelle auch neue technologische Lösungen wie das reMarkable 2, ein E-Ink-Tablet mit zugehörigem Stift, das durch eine raue Displayoberfläche die Haptik von Papier zu reproduzieren versucht. Ich denke, darin liegt die langfristige Zukunft der Wertschätzungsforschung: Die Nachteile des digitalen auszugleichen, z.B. durch das Konzept der Personalisierung, oder indem versucht wird, digitale Güter durch das Hinzufügen haptischer Elemente für unser Gehirn begreifbarer zu machen. Manchmal reicht sogar die Illusion haptischer Elemente, um das Erleben von Besitzgefühlen zu steigern. In der Designwelt wird so etwas als Skeuomorphismus bezeichnet.
Ein Skeuomorphismus liegt vor, wenn digitale Güter so designed sind, dass sie Eigenschaften vertrauter, physischer Objekte imitieren. Beispiele für Skeuomorphismen sind eBook Reader, die durch Animationen das physische Umblättern einer Seite imitieren oder Musikprogramme, deren Interface wie DJ Mischpulte aussehen. Die Forschung dazu steckt aber noch in den Kinderschuhen. Es gibt noch sehr viel zu entdecken und sehr viel Arbeit zu leisten.
DS: Vielen Dank für die sehr interessanten Einblicke in Deine Studien, Julius. Das bringt mich zur letzten, abschließenden Frage, die mir gerade in den Sinn kam. Weshalb steigt aus Deiner Sicht die Nutzung digitaler Güter so rasant, wenn doch dem physischen offensichtlich mehr Wertschätzung entgegengebracht wird?
JK: Das liegt vermutlich in der Natur des Menschen begründet. Wir ziehen die Bequemlichkeit vor. Und digitale Lösungen sind äußerst bequem.
Sie wünschen weitere Informationen zu diesem Thema? Sprechen Sie uns gerne an. Auf Wunsch vermitteln wir Ihnen auch einen Kontakt zu unserem Gesprächspartner Julius Klengel.
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