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AutorenbildDaniel Stöckel

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem Moment: Interview mit Max Geisler

Im Jahr 2020 wurde der renommierte Rudi Seitz-Kunstpreis der Frankfurter Malakademie e.V. und der Friedrich Wilhelm Meyer-Stiftung an den jungen

Künstler Max Geisler verliehen. Die Preisverleihung musste aufgrund der Corona-Pandemie ins Jahr 2021 verlegt werden. Der genaue Termin steht noch nicht fest.


Wir hatten jedoch bereits im Dezember die Möglichkeit, mit Max Geisler zu sprechen.


Daniel Stöckel (DS): Herr Geisler, ich wollte das Interview unbedingt selbst mit Ihnen führen, obwohl wir bei arago Consulting viele Kolleginnen und Kollegen mit einem weit höheren Kunstverständnis als dem meinigen haben. Können Sie den Grund erahnen?


Max Geisler (MG): Sie wollen eine Arbeit von mir kaufen? (lacht)


DS: Auch dazu habe ich tatsächlich 1, 2 Fragen, aber erst zum Ende unseres Gesprächs. Nein, ich dachte tatsächlich, ich hätte aufgrund Ihres Namens einen schwäbischen Landsmann vor mir sitzen.


MG: Nein, da muss ich Sie leider enttäuschen. Ich bin in Frankfurt geboren und auch in Hessen groß geworden. Ich verstehe Sie aber trotzdem recht gut.


DS: Das beruhigt mich ungemein. Wie kommt man als Frankfurter Bub zur Kunst?


MG: Ist das denn so ungewöhnlich? Das klingt ja fast so, als ob es keine Frankfurter Künstler*innen gibt. Ich hab schon immer gerne gemalt. In meinem Leben habe ich viele verschiedene Hobbys gehabt, dazu zählen z.B. auch verschiedene Sportarten. Wenn ich zurückblicke, ist das Malen jedoch die eine, feste Konstante in meinem Leben. Glücklicherweise habe ich ein Elternhaus, das mich früh gefördert hat. Schon als Kind durfte ich Kunst- und Malkurse besuchen.


DS: Wann war Ihnen klar, dass Sie den Weg des Künstlers einschlagen möchten?


MG: Ein Schlüsselmoment war sicherlich mein Schulpraktikum bei einem Handelsunternehmen. Da wurde mir erstmals bewusst wie wichtig es mir ist, Freiheiten zu haben, meine eigenen Entscheidungen treffen zu können. Ich kann nicht wirklich damit umgehen, wenn mir ein »Chef« sagt, bis wann ich etwas fertig machen muss. Aber Kunst bietet mir die Möglichkeit das zu tun was ich will, deshalb habe ich diesen Weg instinktiv weiterverfolgt.


»Two days before the day after tomorrow« (2019), gezeigt im Atelier Frankfurt, Frankfurt am Main. Photo: 2019 © Max Geisler,

DS: Und Sie sind sehr erfolgreich darin. Sie haben Ihr Studium an der renommierten Hochschule für Gestaltung in Offenbach absolviert und werden seit Mitte des Jahres von der Mountains Gallery in Berlin vertreten. Sie malen, sind aber auch insbesondere bekannt für Ihre Raum-Installationen. Wie hat sich dies entwickelt?

ICH MÖCHTE ZEITEBENEN BÜNDELN. DABEI VERSUCHE ICH DIE VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT GLEICHERMAßEN IN MEINE ARBEITEN EINZUBEZIEHEN.

MG: Meine Mappe, die ich für die Aufnahmeprüfung an der HfG in Offenbach eingereicht habe, war noch voll mit illustrativen Zeichnungen und Collagen. Da habe ich eher freie und irre Comicgesichter gezeichnet und meine eigenen Hände. Warum das so war, kann ich heute gar nicht mehr genau benennen. Ich habe mich dann logischer Weise während meines Studiums weiterentwickelt und bin von einer sehr gegenständlichen Malweise zur Abstraktion gelangt. Anfangs waren es eher noch apokalyptische Landschaftsbilder, auf denen nur isolierte Gegenstände auftauchten. Dann gab es irgendwann auch hier einen Schlüsselmoment. In Hanau habe ich einen Schrottplatz fotografiert, von oben, aus der Vogelperspektive. Die Gegenstände sind in diesem Bild verschwunden. Was blieb, waren die Strukturen und die Spannung, die für mich von ihnen ausging.


DS: Spannung scheint für Ihre Kunst ohnehin ein wichtiges Motiv zu sein. Liege ich damit richtig?


MG: Naja, Spannung ist sicherlich wichtig. Aber das ist auch ein sehr allgemeines und fast schon »langweiliges« Schlagwort, um Kunst zu beschreiben oder gar erklären zu wollen. Spannend muss es ja bleiben. Ansonsten könnte ich auch einfach etwas anderes in meinem Leben tun. Wichtig ist es doch, nicht stehen zu bleiben, sich selbst zu fordern und sich parallel auch mit anderen Dingen zu beschäftigen. Also, nicht abgekapselt in einer Blase zu leben, diese von Innen zu bemalen bis man nicht mehr raus schauen kann.


DS: Wie kamen Sie zu den Trockenbau-Installationen?


MG: Ich habe an einem Bild gearbeitet und hatte dazu ein Stück Armierungsgewebe verwendet. Das Gewebe wird zur Minimierung von Rissen an Hauswänden eingesetzt. Reste davon lagen nach Beendigung der Arbeit zusammengeknüllt in einer Ecke. Das Licht hat im Gewebe ein merkwürdiges Flimmern erzeugt. Ein Moiree-Effekt.


Daraufhin habe ich andere Baustoffe eingekauft und eine ortsspezifische Wandmalerei entwickelt und umgesetzt. Das war im Grunde der Beginn für die darauffolgenden Arbeiten, die dann auch zunehmend größer wurden.


DS: Sie gestalten Räumen neu, ziehen Wände ein und adaptieren dabei die Bausubstanz des Raumes. Sie reißen sie aber gleichzeitig wieder ein und erzeugen damit eine unheimliche Kraft auf den Betrachter. Es fühlt sich an, als würde man in einem Augenblick großer Veränderung eine Momentaufnahme durchlaufen, ein Standbild, einen Zeitschnipsel …


MG: … und genau diesen Effekt möchte ich auch erzeugen. Zeitlichkeit ist ein sehr wichtiges Thema in meinen Arbeiten. Ich möchte Zeitebenen bündeln. Dabei versuche ich die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen in meine Arbeiten mit einzubeziehen. Die eigene Auseinandersetzung und Reflexion ist immer der Ausgangspunkt für den kreativen Prozess. Ich versuche auch immer mich von außen zu beobachten und hinterfrage mein Handeln...beispielsweise nehmen wir ja unsere Umwelt bzw. Umgebung immer als Ganzes war und isolieren nicht einzelne

Dinge während dem Wahrnehmungsprozess. Ich würde ja verrückt werden, wenn mir jedes Mal bewusst werden würde, dass der Briefkasten gelb und der Main eine trübe Brühe ist. Mich interessiert oftmals ein gewisser Schwebezustand und thematisiere dabei die Ungewissheit. Und ich möchte auch verdeutlichen, wie durch Zerstörung, durch Veränderung etwas Neues erschaffen wird. Die Spannung liegt in diesem einen Augenblick und in der Ungewissheit, wie es weitergeht oder vielleicht auch darin, wie es einmal gewesen ist.


DS: Der Betrachter soll sicherlich auch damit konfrontiert werden, wie er die Szene für sich weiterlaufen lässt, wenn er – in der von Ihnen geschaffenen Momentaufnahme stehend – auf seinen inneren »Play«-Button drückt.


MG: Ja – genau. Der Film sollte sich dann im Kopf bei den Betrachter*innen abspielen.


DS: Damit schließen wir auch den Kreis zum Beginn unseres Gesprächs: Ich sage häufig, meine Frau habe sich über die Jahre daran gewöhnt, viel Verständnis für mich aufzubringen. Sie meint allerdings ich würde mich täuschen, sie sei inzwischen einfach abgestumpft (lacht). So oder so, ich werde sie vermutlich nur schwer dafür begeistern können, die Wand zwischen unserem Schlaf- und Wohnzimmer einreißen zu lassen.


MG: Für solch schwere Fälle habe ich vorgesorgt: Es gibt meine Kunst auch in etwas handlicherem Format, für die intakte Wand.


DS: Dann besteht Hoffnung für mich. Herr Geisler, vielen Dank für Ihre Zeit und den Einblick in Ihre Arbeit. Wir freuen uns sehr auf ein Wiedersehen im Rahmen der Preisverleihung und werden unsere Leserinnen und Leser informieren, sobald der genaue Termin feststeht.


Sie interessieren sich für die Arbeiten von Max Geisler? Nähere Informationen erhalten Sie unter http://maxgeisler.de und per E-Mail: post@maxgeisler.de.


DER RUDI-SEITZ-KUNSTPREIS, DIE FRIEDRICH WILHELM MEYER-STIFTUNG UND DIE ARAGO CONSULTING


Martin Friedrich, langjähriger Geschäftsführer der arago Consulting und inzwischen im

Aufsichtsrat der Gesellschaft, ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich Wilhelm Meyer-Stiftung e.V., die gemeinsam mit der Frankfurter Malakademie e.V. den Rudi-Seitz Kunstpreis vergibt.


Der Preis erinnert an den Frankfurter Kulturvermittler Rudi Seitz (1930–2002) und fördert

Künstler und Künstlerinnen, die am Beginn ihrer Laufbahn stehen und nur wenig in

der Öffentlichkeit bekannt sind.


Zeit seines Lebens kuratierte und schrieb Rudi Seitz über die Künstler, er vermittelte Ausstellungen und stellte den Künstler und die Künstlerin immer wieder in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Sein besonderes Engagement galt jenen Schülerinnen und Schülern der Städelschule, die in der Klasse von Max Beckmann gelernt und nicht zuletzt aufgrund dieser Verknüpfung von den Nationalsozialisten als »Entartete« diffamiert und mit Berufsverbot – wie es auch Friedrich Wilhelm Meyer widerfuhr – belegt wurden. Dass diese vergessene Generation nicht vergessen werden konnte, ist mit ein Verdienst von Rudi Seitz, wobei er seine fachliche Kompetenz in genialer Weise mit seiner persönlichen Liebe zur Kunst verband.

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