Ich bin ausgebildeter Drucker und habe nach meiner Lehre ein Studium zum Druck- und Medientechniker absolviert. Ich bin kein Romantiker, eher Pragmatiker. Ich schaue lieber nach vorne als zurück. Wir produzieren bei arago Consulting überwiegend Ausund Weiterbildungsunterlagen. Das bedruckte Papier hat nach wie vor eine wichtige Funktion zur Weitergabe dieses Wissens. Den eigentlichen Wert stellt aber die Botschaft auf dem Papier dar. Der Toner oder die Tinte auf dem Zellstoff wäre ohne die Botschaft bedeutungslos. Weshalb schreibe ich an dieser Stelle also nicht über die Bedeutung der Schrift? Nun, wie erwähnt bin ich nun mal Drucker. Und daher Kreisen meine Gedanken oftmals darum, wie die Welt wohl aussehen würde, wenn es keinen Druck gäbe. Und dafür, Pragmatiker hin oder her, lohnt sich tatsächlich eine Reise in die Vergangenheit und der Blick auf eine Zahlenreihe, die uns eine spannende Zukunft verspricht: 800 – 400 – 100 – 50.
HALTESTELLE 1 6. JAHRHUNDERT N. CHR., STADT CHANG`AN, CHINA, EPOCHE DER TANG-DYNASTIE
Kaiser Taizong (auf dem Thron). Zeitgenössisches Porträt von Yan Liben, Ausschnitt aus dem Gemälde »Kaiser Taizong empfängt die Gesandtschaft aus Tibet« von 641.
Die Tang-Dynastie währte von 618 bis 907 n. Chr. und gilt als Blütezeit der chinesischen Zivilisation. Tang Taizong ging als einer der größten chinesischen Kaiser in die chinesische Geschichte ein. Er schätzte sein Volk, war ungewöhnlich tolerant und aufnahmebereit für konstruktive Kritik und Ratschläge und bescherte China eine außergewöhnlich friedliche, stabile und entwicklungsfreudige Periode. In der kosmopolitischen Hauptstadt Chang’an (das heutige Xian) wohnten mehr als 100.000 Ausländer. Hier wurde erstmals ein Druckverfahren erfunden, das – neben dem Papier, dem Schwarzpulver und dem Magnetkompass – zu den vier großen Errungenschaften des alten Chinas gezählt wird: der Blockdruck. Matrizen aus Holz wurden eingeschnitten, eingefärbt und auf ein Blatt Papier abgedruckt. 1974 wurde bei einer Grabung in Xian ein Hanfpapier gefunden, auf das eine Dharani-Sutra gedruckt wurde, ein Text mit religiöser Bedeutung. Das Papier wurde auf die Zeit zwischen 650 und 670 n. Chr. datiert und gilt als frühestes Beispiel eines Blockdrucks.
HALTESTELLE 2 JAHR 1455, MAINZ, DEUTSCHLAND
Der Blockdruck benötigte von seiner Erfindung im 6. Jahrhundert sagenhafte 800 Jahre, bis er schließlich im 14. Jahrhundert in Europa ankam. »Nur« knapp 1. Jahrhundert später erfand Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg (Familiennamen wurden damals an den Namen des jeweiligen Hausbesitzes angepasst, in diesem Fall an den elterlichen »Hof zum Gutenberg«) den Buchdruck. Seine genialen und revolutionären Erfindungen: Bewegliche Letter aus Metall, länger haltbare Druckfarben auf Öl- statt Wasserbasis und eine Druckpresse, die an die Funktionsweise einer Weinpresse angelehnt ist. Der 23. Februar 1455 wird als Veröffentlichungstag der lateinischen Gutenberg-Bibel angesehen. Sie gilt als erstes Buch Europas, das in größerer Menge produziert wurde (schätzungsweise 150 bis 180 Stück) und ist eine der bedeutendsten Fortschritte der Weltgeschichte. Aktuell existieren weltweit noch 49 Exemplare, u.a. in der Universitätsbibliothek Göttingen. Sollten Sie noch eine auf Ihrem Dachboden finden, melden Sie sich gerne bei mir: 1987 ersteigerte das japanische Buchhandelsunternehmen Maruzen Co. Ltd. aus Tokio einen Band aus dem Besitz einer amerikanischen Sammlerin für 4,9 Mio. US-$.
Die 42-zeilige Bibel, das Hauptwerk Gutenbergs
HALTESTELLE 3 JAHR 1863, NEW YORK, USA
»Nur« knapp 400 Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks schauen wir William Bullock über die Schulter, einem passionierten Erfinder, der als Mechaniker und Eisengießer arbeitete. Er erfand eine Baumwollpresse und eine Sämaschine, als seine wichtigste Erfindung galt aber die Perfektionierung einer Rotationsdruckmaschine, die Richard March Hoe – ebenfalls in New York – im Jahr 1843 erfand. Worin bestand die Innovation von William Bullock?
William Bullock revolutionierte die Druckindustrie 400 Jahre nach Gutenberg.
Nun, er verband ganz einfach zwei Innovationen. Im Jahr 1858, nur fünf Jahre vor der Patentierung der Bullockschen Konstruktion, erfand Alois Ritter Auer von Welsbach, Direktor der Hofund Staatsdruckerei zu Wien, das Endlospapier. William Bullock verband die Innovationen von Hoe und von Welsbach, indem er an die Rotationsdruckmaschine eine Rollenpapierzufuhr anband. Die amerikanischen Zeitungen frohlockten und feierten seine Maschine als »einfachste und solideste Maschine, die je Papier bedruckt hat«. Sie bedruckte bis zu 8.000 Exemplare pro Stunde und gilt damit als erste Druckmaschine für große Auflagen. Seine Erfindung brachte zwar einen enormen technologischen Fortschritt, sorgte aber auch für seinen persönlichen Untergang. Bullock starb 1867 nach einem tragischen Unfall. Er wollte durch einen Tritt einen Antriebsriemen auf ein Antriebsrad bringen, sein Bein rutschte ab, geriet in die Maschine und brach. Bei einer Operation zur Amputation seines Beines verstarb er im Alter von 54 Jahren.
HALTESTELLE 4 JAHR 1970, PALO ALTO RESEARCH CENTER (PARC), KALIFORNIEN, USA
Lediglich rund 100 Jahre, nachdem William Bullock seinen fatalen Fehltritt beging, wurde auf Anregung des Xerox-Chefwissenschaftlers Jack Goldman das legendäre Palo Alto Xerox Research Center (PARC) gegründet. Xerox stand damals vor dem Problem, dass Anfang der 1970er Jahre der Patentschutz für die Xerographie (Fotokopierer) auslief. Sie fürchteten, Marktanteile an japanische Hersteller zu verlieren. Am PARC sollten neue Technologien entwickelt werden. Das gelang – sogar in beachtlichem, absolutbahnbrechendem Ausmaß. Am PARC wurde die Netzwerktechnik Ethernet und das Konzept der graphischen Benutzeroberfläche (GUI) mit Maus-Bedienung entwickelt. Rückblickend kaum vorstellbar: Weder die eine noch die andere Entwicklung zahlte sich für Xerox aus. Das Xerox-Management war so sehr auf Fotokopierer fixiert, dass sie das Potential der Lösungen nicht erkannten. Ein Mann namens Steve Jobs besuchte das PARC zu dieser Zeit, schnappte das Konzept der GUI auf und brachte es bei Apple zum Erfolg. Jahre später beklagte er sich bei Bill Gates darüber, dass Microsoft dieses Konzept bei ihm gestohlen habe, worauf dieser antwortete: »Also, Steve, ich finde man kann das auch anders sehen. Ich denke es war eher so, dass wir beide diesen reichen Nachbarn namens Xerox hatten bei dem ich einbrach, um den Fernseher zu klauen, und feststellte, dass du ihn bereits gestohlen hattest.«
Eine wichtige Innovation brachte das PARC jedoch zur Marktreife: den Laserdrucker. Gary Starkweather ist der Name des Mannes, der dafür verantwortlich ist, dass Sie heute, 50 Jahre nach seiner Erfindung, Ausdrucke ab 1 Exemplar, in hoher Qualität und (manchmal zum Leid meiner Kolleginnen und Kollegen) extrem kurzfristig bei uns abrufen können. Dank seiner Erfindung gelang ihm 2012 die Aufnahme in die National Inventors Hall of Fame. Zwischen Tang Taizong und Johannes Gutenberg liegen 800 Jahre, zwischen Gutenberg und William Bullock 400 Jahre, zwischen Bullock und Gary Starkweather 100 Jahre und zwischen uns und Starkweather 50 Jahre. Heute sind wir umgeben von 3D-Druckverfahren, Nanotechnologie und ersten Ansätzen in den Bereichen künstliche Intelligenz und Quantencomputer. Dabei übersehen wir rasch, dass Wissen über hunderte von Jahre über zwei Arten weitergegeben wurde: Die mündliche Erzählung und –dank der Innovationskraft der obigen Personen – bedrucktes Papier.
Bereits nach 5 bis 20 Jahren verlieren magnetische Datenträger wie Festplatten ihren Magnetismus – und damit die gespeicherten Daten. Auch optische Datenträger wie CD-ROMs sind anfällig für Temperaturschwankungen und können häufig nach wenigen Jahren nicht mehr gelesen werden. Das Projekt »Memory of Mankind« hat sich zum Ziel gesetzt, eine Zeitkapsel für die Menschheit zu schaffen und Informationen über den Zeitraum von 1 Million Jahre zu archivieren (www.memory-of-mankind.com). Hierzu verwenden sie keramische Tafeln als unverwüstliche Datenträger, die im ältesten Salzbergwerk der Welt eingelagert werden, die Salzmine Hallstatt in Österreich. Bis sich dies auf breiter Front durchsetzt, ist mir jedoch um die Bedeutung des Papiers nicht Bange. Meine Gedanken kreisen daher weniger darum, ob wir künftig drucken, sondern vielmehr darum, welche Person die nächste bahnbrechende Innovation im Bereich Druck hervorbringt. Und an welche Haltestelle uns dies führen wird.
Ihm verdanken wir den modernen Digitaldruck: Gary Starkweather (* 9. Januar 1938 in Lansing, Michigan; † 26. Dezember 2019 in Orlando, Florida).
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