Seit dem 23. Juni 2021 müssen elektronische Verwaltungsabläufe gemäß einer EU-Richtlinie barrierefrei sein. Was nun für elektronische Vorgangsbearbeitungen und E-Akten gefordert ist, gilt bereits seit längerer Zeit auch für Webseiten, mobile Anwendungen und PDF-Dateien öffentlicher Stellen.
BARRIEREFREIE KOMMUNIKATION? WAS IST DAS? UND HAT DAS AUCH EINE RELEVANZ IM BEREICH DER ERWACHSENENBILDUNG?
Die barrierefreie Kommunikation hat das Ziel, eine Chancengleichheit zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen herzustellen. Mit Blick auf unseren persönlichen alltäglichen Fokus – der Erstellung und Produktion von Aus- und Weiterbildungsunterlagen – geht es darum, dass ein Ausgangstext für alle Menschen vollständig verständlich und auch zugänglich ist, egal ob er geschrieben, in Form von Bildern dargestellt oder gesprochen wurde.
Es gibt keine gesicherten empirischen Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland blind bzw. sehbehindert sind. Das Statistische Bundesamt erfasst rund 600.000 Personen, die sich allerdings aus Zahlen des Schwerbehindertenausweises ableiten, den viele betroffene Personen nicht besitzen. Ca. 80.000 Personen sind gehörlos, 3.7 Mio. Menschen schwerhörig, rund die Hälfte davon steht noch voll im Berufsleben.
Das Schweizer Zentrum für Barrierefreie Kommunikation listet folgende Bereiche auf, die Barrieren darstellen können:
Visuell:
Menschen mit Sehbehinderung können Bilder in Filmen nur teilweise oder gar nicht erfassen. Wird dieses Medium in Aus- und Weiterbildungsszenarien eingesetzt, z.B. im Rahmen eines Erklärfilms, empfiehlt es sich daher, das Gezeigte auch nochmals auditiv, d.h. über die Sprache zu kommunizieren. Der Fachbegriff hierfür lautet Audiodeskription.
Sehbehinderte Menschen brauchen eine Audiodeskription.
Als hervorragender Anhaltspunkt für das Thema Audiodeskription kann Ihnen die Richtlinie des MDR dienen:
Sie definiert drei Grundsätze:
Die individuelle Gestaltung einer Sendung muss sich in der Audiodeskription widerspiegeln. Nur dann können auch blinde und sehbehinderte Menschen die Qualität des Originals anhand der Audiodeskription nachvollziehen.
Die Audiodeskription muss einen Mehrwert darstellen, sie muss den Film nahebringen. Blinde und sehbehinderte Zuschauer müssen sich mithilfe der Audiodeskription eine eigene Meinung zu dem jeweiligen Film bilden können.
Weniger ist mehr! Die Filmbeschreibung muss handlungsrelevant sein! Ist die Beschreibung für die Handlung immer wichtig?
Akustisch:
Eingesprochene Texte können für Menschen mit einer Hörbehinderung eine akustische Barriere darstellen. In diesen Fällen empfiehlt es sich, eine Transkription, d.h. eine Verschriftlichung des gesprochenen Textes, vorzunehmen.
Für hörbehinderte Menschen sind geschriebene Texte wichtig, um sich im Alltag zurecht zu finden.
Verständnis:
»Wer‘s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er‘s klar sagen kann.« Dieses Zitat stammt von dem großen Philosophen Karl Popper. Was von ihm als Leitsatz für die Wissenschaft gedacht war, lässt sich auf alle Bereiche anwenden. Die Sprache sollte keine Barrieren aufbauen. Ganz besonders nicht im so wichtigen Bereich der Aus- und Weiterbildung. Ein Lektorat der Texte kann dem Autor hierbei als wertvolle Hilfestellung dienen, seine Texte in einfacher, verständlicher Sprache zu formulieren.
DIE BARRIEREFREIE KOMMUNIKATION HAT DAS ZIEL, EINE CHANCENGLEICHHEIT ZWISCHEN MENSCHEN MIT UND OHNE BEHINDERUNGEN HERZUSTELLEN.
Sprache und Kultur:
Ein Punkt, der vermutlich keiner weiteren Erklärung bedarf. Wer seinen Urlaub in Corona-Zeiten in gewissen Regionen auf der Schwäbischen Alb oder in Oberbayern verbracht hat, weiß in der Regel, was hiermit gemeint ist. Spätestens mit einem Besuch Japans zur Kirschblüte wird einem jedoch bewusst, welche Barrieren Sprache und Kultur aufbauen können. Übersetzungen, die einen einordnenden kulturellen Kontext liefern, bauen diese Barrieren ab.
BARRIEREFREIHEIT FÜR GEDRUCKTE SEMINARUNTERLAGEN
In dem Dossier »Barrierefreie Erwachsenenbildung« des Österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung gehen die Autorinnen (neben vielen weiteren sehr hilfreichen Aspekten und Anregungen) auch explizit auf die Erstellung von Seminarunterlagen und Dokumentationen ein:
»Es ist hilfreich, wenn Skripten zur Verfügung gestellt werden, damit die TeilnehmerInnen nicht mitschreiben müssen. Das hilft im Besonderen jenen Menschen, die sich mit dem Schreiben schwertun. Aber auch für viele andere Menschen ist es angenehm, die volle Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor Ort richten zu können und sich nicht auf eine Mitschrift konzentrieren zu müssen. Wenn es Skripten und andere Materialien gibt, ist es gut, das gleich zu Beginn der ersten Einheit bekannt zu geben. Wichtig ist, darauf zu achten, dass manche Unterlagen ggf. vorab umgearbeitet werden müssen, so dass sie auch für behinderte TeilnehmerInnen gut nutzbar sind.«
(Quelle: https://erwachsenenbildung.at/themen/barrierefreie-eb/, Dokument »Barrierefreie Erwachsenenbildung«, Seite 16)
Insbesondere folgende Punkte gilt es bei der Erstellung von Seminarunterlagen zu beachten:
1. Schrift
Wir haben Johannes Gutenberg und seiner Erfindung des Buchdrucks viel zu verdanken, u.a. auch die Erkenntnis, dass das Thema Erkennbarkeit der Schriftart im Mittelalter nicht allzu hoch aufgehängt wurde. Schreiben war für die damaligen Mönche nicht nur eine manuelle Tätigkeit, sondern auch ein Akt der Einkehr und des Glaubens. Zeit spielte keine Rolle. Da immer dieselben Texte geschrieben wurden, wurde auf die Lesbarkeit keinen Wert gelegt. Die Schrift war kunstvoll, verschnörkelt und schwer lesbar. Gutenbergs Drucke sollten wie handgeschrieben aussehen. Er übernahm daher ihre Form.
Bei der Barrierefreiheit gehen wir inzwischen einen komplett anderen Weg. Wir richten heutzutage unser Augenmerk auf Erkennbarkeit, Unterscheidbarkeit, Offenheit und Strichstärkenkontrast der Schriftart.
Verschiedene Schriften lassen sich verschieden gut lesen.
Welche Schriftgröße für welche Zielgruppe und welches Endgerät (Smartphone, Broschüre, Tablet, Computerbildschirm, Aushang etc.) ist eine Wissenschaft für sich. Helfen kann Ihnen hierbei der Schriftgrößenrechner der hervorragenden Seite leserlich.info des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (https://www.leserlich.info/werkzeuge/schriftgroessenrechner/index.php).
Lesetexte sollten weder eine zu geringe Linienstärke aufweisen (da sonst der Kontrast zum Untergrund zu gering ist), noch zu fett sein (da sonst die Schrift zu stark »zuläuft«). Verwenden Sie daher möglichst Schriften in der Strichstärke Regular (wird u.a. auch als Normal, Book, Roman oder Text bezeichnet).
Schreiben Sie Ihre Texte in Groß- und Kleinschreibung. Der obere Bereich der Buchstaben ist für das Lesen wichtiger als der untere. Wörter, die ausschließlich in Versalien (d.h. groß) geschrieben werden, sind verwechselbarer und damit schwerer zu erfassen.
Der wichtigste Grundsatz im Bereich Hervorhebungen ist: Setzen Sie diese nur sehr sparsam ein. Verwenden Sie hierzu fette oder kursive Schriften. Wenn es Farbe sein soll, bitte auf einen hohen Kontrast achten. Unterstreichungen verringern die Erkennbarkeit der Zeichen und sollten daher nur für die Auszeichnung von Links eingesetzt werden.
2. Kontrast und Farben
Lesetexte sollten mit dunklem Text auf hellem Hintergrund abgebildet werden. Umgekehrt ist der Text schwerer lesbar. Für den Hintergrund ist ein ausreichender Kontrast zum Text entscheidend. Hier hilft Ihnen der Kontrastrechner unter https://www.leserlich.info/werkzeuge/kontrastrechner/index.php.
Vermeiden Sie Rot-Grün Kombinationen (9 % aller Männer und 0,8 % aller Frauen sind
von dieser Sehschwäche bzw. Blindheit betroffen) und irritierende Kontrastverhältnisse durch Bilder und Farbverläufe im Hintergrund eines Textes.
3. Bilder
Bei der Bildbearbeitung achten wir darauf, dass sich die wichtigen Bestandteile eines Bildes vom Bildhintergrund abheben.
Links ist die Person deutlich besser zu erkennen. Der für die Bildaussage unwichtige Hintergrund ist abgedunkelt.
Achten Sie unbedingt darauf, Bilder immer mit einer beschreibenden Bildunterschrift zu versehen. So können sie über Leseassistenten auch sehbeeinträchtigten Personen vermittelt werden.
4. Papier
Für den Druck von Seminarunterlagen verwenden wir aufgrund unserer langjährigen Erfahrung das mit dem EU-Ecolabel ausgezeichnete Papier Target von Berberich. Hierbei handelt es sich um ein mattes Papier, das im Gegensatz zu glänzenden Oberflächen nicht reflektiert und damit eine höhere Lesbarkeit aufweist. Es hat aufgrund seines geringen Grauanteils einen hervorragenden Kontrast. Dank seiner Lichtundurchlässigkeit ist zudem sichergestellt, dass auch bei einem beidseitigen Bedruck das rückseitige Schriftbild nicht durchscheint.
FÜR DIE HOHE RELEVANZ VON BARRIEREFREIHEIT IM NETZ SPRICHT ALLEIN DIE DURCHSCHNITTLICHE ONLINEZEIT EINES INTERNETNUTZERS: 7 STUNDEN!
BARRIEREFREIHEIT FÜR DIGITALE LERNMEDIEN
Ich werde Ihnen mit diesen Zahlen keine Neuigkeiten verraten. Bei einer Bevölkerung von 83,8 Millionen Einwohnern wurden in Deutschland im Januar 78,8 Mio. Internetuser registriert, 94 % der Bevölkerung. 78 % der Bevölkerung nutzen Soziale Medien zur Information und Kommunikation, ein Anstieg von 13 % (oder 7,7 Millionen Personen) gegenüber 2020.
In dem 300-seitigen Bericht »Digital 2021 Report« von Hootsuite, dem Marktführer für Social Media Management und We Are Social, einer global agierenden Social-Media Kreativagentur, finden sich weitere interessante Daten (siehe auch: https://wearesocial.com/digital-2021).
Der durchschnittliche Internetnutzer (bezogen auf die Weltbevölkerung) verbringt laut des Reports täglich fast 7 Stunden online. Ein großer Teil unserer Kommunikation, insbesondere auch der beruflichen Kommunikation, erfolgt inzwischen online.
Für die Gestaltung von digitalen Medien gelten weitgehend dieselben Grundsätze, die wir für gedruckte Seminarunterlagen ausgeführt haben.
Als weiterer Anknüpfungspunkt für digitale Lerninhalte dient die Web Content Accessibility Guideline (»Richtlinie für barrierefreie Webinhalte«). Sie legt ihren Fokus auf die programmiertechnischen Aspekte und darauf, dass die Inhalte auf möglichst vielen Geräten und Anwendungen darstellbar sind.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Inhalte responsiv abgebildet werden, d.h. so, dass sie sich an die jeweilige Bildschirmgröße des Ausgabegeräts anpassen und ohne verkleinern/vergrößern bzw. verschieben sichtbar sind.
Ein weiterer guter Anhaltspunkt ist das in den USA entwickelte Konzept des Universal Design for Learning (UDL). Es beruht auf insgesamt 9 Prinzipien. Einige davon sind relevant im Hinblick auf digitale Lernmedien:
Breite Nutzbarkeit Beispiel: Unterlagen werden rechtzeitig zur Verfügung gestellt, damit sich Lernende diese auch mit einem Programm vorlesen lassen können.
Flexibilität in der Benutzung Beispiel: Neben schriftlichen Unterlagen werden dem Lerner auch Podcasts oder Videos angeboten, um verschiedene Zugänge zum Wissen zu ermöglichen.
Sensorisch wahrnehmbare Informationen Beispiel: Alle schriftlichen Unterlagen (z.B. PDFDateien) werden barrierefrei digital bereitgestellt. Blinde können dadurch über einen sogenannten »Screenreader« auf diese Dokumente zugreifen.
Fehlertoleranz Beispiel: Textverarbeitungsprogramme mit Rechtschreibprüfung werden für die Einreichung von schriftlichen Beiträgen eingesetzt. Dadurch kommt man den unterschiedlichen Vorkenntnissen der Lerner entgegen.
Lerngemeinschaft Beispiel: Virtuelle Lernumgebungen ermöglichen auch jenen Personen eine Teilnahme an gemeinsamen Lernaktivitäten, denen es nicht möglich ist, physisch vor Ort anwesend zu sein.
Worauf Sie bei der Erstellung barrierefreier PDF-Dokumente aus einer Word-Datei achten sollten, erläutert die Universität Potsdam in einem YouTube-Video:
Der Barrierefreiheit von Bildungsunterlagen wird derzeit deutlich zu wenig Beachtung geschenkt. Dabei sind viele der obigen Hinweise relativ einfach und ohne erheblichen Mehraufwand bereits bei der Konzeption einer Unterlage umsetzbar. Nutzen Sie dies für sich. Bauen Sie Brücken – und erreichen Sie damit noch mehr Menschen.
Nutzen Sie dazu auch gerne die Expertise unserer Kolleginnen und Kollegen. Sprechen Sie uns an, wenn Sie weitere Fragen zur Um- und Neugestaltung Ihrer Bildungsunterlagen haben – digital und analog.
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